Ungewöhnliche Patientengeschichten der Greifvogelstation

Ungewöhnliche Patientengeschichten der Greifvogelstation
Der «gschnäderfrässige» Fischadler
Bei dieser amüsanten Patientengeschichte aus der Greifvogelstation machte die Not den beteiligten Freiwilligen erfinderisch. Es war das Jahr 2017, als der erste Fischadler in die Greifvogelstation gebracht wurde. Er war in Finstersee im Kanton Zug flugunfähig am Boden gefunden worden und durch den Tierrettungsdienst in die Greifvogelstation gebracht worden. Wie immer, wenn ein seltener Greifvogel in die Station kommt, war es eine kleine Sensation und man wollte alles Erdenkliche tun, um dem speziellen Patienten zu helfen. Nach der standardmässigen Erstuntersuchung, der jeder Vogel nach seiner Ankunft unterzogen wird, konnten keine Verletzungen festgestellt werden und es schien, dass dem Fischadler nichts fehlte.

«Kennst du einen Fischer? Wir haben einen Fischadler auf der Station und keinen Fisch zur Hand!», mit diesen Worten wurde Claude Jaermann am Samstagmorgen von Stationsleiter Andi Lischke geweckt. Dieser befand sich auf dem Weg nach Deutschland und konnte vor Ort nicht auf den neuen Patienten reagieren. Unser Mitarbeiter kannte zwar keinen Fischer, wusste aber, dass der Volg in Neftenbach frischen Fisch im Angebot hat. Weil es dort nur Zanderfilet gab, kaufte er ein Kilo von dem edlen Fisch und brachte ihn dem seltenen Gast. Dieser aber zeigte sich äusserst gschnäderfrässig und rührte das Fischfilet nicht an. «Da muss frischer Fisch her!», entschied Andi Lischke aus der Ferne und besorgte am nächsten Tag kurzerhand aus einer Forellenzucht einige besonders stattliche Forellen. Diesen Schmaus liess sich der Fischadler dann zum Glück nicht entgehen und vertilgte in der Folge während seines Aufenthaltes einige der Forellen. Dank dieser kostbaren Diät hat sich der Patient schnell erholt und konnte bald wieder freigelassen werden. Man stellte später bei weiteren Fischadler-Patienten fest, dass sie nicht generell «picky eater» sind – nur eben dieses erste Exemplar. Aber für einen so seltenen Gast darf man schon mal eine Ausnahme machen, oder?

Ich bin (fast) ein Uhu
Es ist schon ein paar Jahre her. Amber Gooijer, unsere Tierpflegerin in der Greifvogelstation, hatte Wochenenddienst, als ihr kurz vor Feierabend eine sichtlich aufgeregte Person eine sehr grosse Kartonkiste in die Greifvogelstation brachte. «Da ist ein wilder Uhu drin!», teilte ihr die Retterin mit. Offensichtlich war sie von dem Greifvogel tief beeindruckt und hatte allen Mut gebraucht, um den beängstigenden Vogel einzufangen und in die Kiste zu befördern. Auch unsere Mitarbeiterin hat Respekt vor einem ausgewachsenen Uhu: Die Füsse, mit denen die Eule sich wehrt, sind mit den je vier spitzigen Krallen etwa 5 cm lang. Damit erdolchen Uhus ihre Beute in der Wildnis in Sekundenschnelle. Entsprechend wehren sich Uhus auch zuerst mit ihren Krallen. Aber auch vor dem kräftigen Schnabel sollte man Respekt haben, denn damit versuchen sie, ihre Feinde zu beissen.

Mit diesem Vorwissen rüstete sich Amber mit den entsprechenden Falknerhandschuhen für Habichte und Uhus, öffnete den Karton an einer Ecke und äugte vorsichtig hinein. Aber: da war kein Tier zu sehen! Erst als die Kiste ganz offen war, entdeckte Amber in der Ecke ein kleines graues Fläumchen mit orangen Augen, das sie aus der Ecke anfauchte. «Wer bist du denn?!», fragte Amber, sah aber schnell, dass es sich «nur» um eine junge Waldohreule handelte – aber oho! – die war zwar verhältnismässig klein, das Temperament eines Uhus hatte sie aber zu 100 %!
